Grenzen sind zufällig, aber unantastbar
Kants Weltbürgerrecht, sein Blick auf Migration und seine Bedeutung bis heuteJeder Mensch hat das Recht, ein fremdes Land zu besuchen und sich dort aufzuhalten: So lässt sich ein Kernelement des Weltbürgerrechts als „Besuchsrecht“ nach Immanuel Kant zusammenfassen. Prof. Dr. Christoph Horn vom Digitalen Kant-Zentrum Bonn erklärt den Begriff der Migration bei Kant, warum für ihn Grenzziehungen willkürlich waren und welche Schlüsse wir daraus ziehen können.
Wer an Kant und Migration denkt, dem fällt der Begriff des Weltbürgertums ein. Was genau ist damit gemeint?
Das Weltbürgerrecht ist ein zentraler Begriff bei Immanuel Kant. Dahinter steht die Idee, die Rechtsbeziehungen zwischen Individuen und Drittstaaten zu regeln. Er sah, dass das Völkerrecht seiner Zeit hier ein Defizit aufwies, nämlich die rechtliche Regelung von Individuen außerhalb ihres Staates. Das Weltbürgerrecht besagt, dass alle Menschen das Recht haben sollen, sich in ein fremdes Land zu begeben und sich dort unbehelligt aufzuhalten und zu betätigen.
Ist das eine liberale Auffassung?
In seiner politischen Philosophie vertritt Kant eher einen Republikanismus, aber er ist auch Liberaler im Sinn der Geltung unverletzlicher Grundrechte. Allerdings darf man Kant nicht einem nationalen Liberalismus zuordnen. Er lebte in einem vornationalen Zeitalter. Für ihn sind Staatsvölker willkürlich entstanden und haben nichts mit Ethnien oder Abstammung zu tun. Dasselbe gilt für Grenzen, die oft auf historischen Ereignissen oder politischen Entscheidungen beruhen, die nicht unbedingt gerecht oder moralisch gerechtfertigt sind. Gleichzeitig sind diese Grenzen unantastbar, weil es unabsehbare Folgen hätte, wenn sie beispielsweise aus ethnischen Gründen verschoben würden. Auch heute haben viele Nationalstaaten eine recht heterogene Bevölkerung, zum Beispiel Frankreich oder Spanien. Und welche Folgen es hat, wenn man Staaten nach ethnischen Gesichtspunkten formt, sah man zum Beispiel auf dem Balkan in den 90er Jahren. Deshalb ist Einwanderung für ihn relativ unproblematisch.
Wie verhalten sich die Staatsvölker zueinander?
Die Staatsvölker, also die Einheiten der Bevölkerung, stehen für Kant in Konkurrenz zueinander. Sie haben zwar das Recht, Menschen aufzunehmen oder abzuweisen, aber keine Motive, die sich etwa aus Leitkultur, Sprachpolitik oder religiöser Homogenität ergeben. Für Kant ist es legitim darauf zu sehen, ob die Aufnahmeländer von den Neuankömmlingen profitieren und umgekehrt. Er geht davon aus, dass es genügend aufnahmebereite Länder gibt, zu seiner Zeit etwa Nordamerika.
Was hat das mit unserem heutigen Verständnis von Migration zu tun?
Migration aus heutiger Sicht ist ein riesiges Thema, das zum Beispiel mit dem Klimawandel und der Bewohnbarkeit der Welt zu tun hat, mit Armut, aber auch mit politischer Verfolgung, illiberalen Gesellschaften und Kriegen wie dem in der Ukraine. Aber auch zu Kants Zeiten gab es große Migrationsströme. So verließen französische Hugenotten wegen mangelnder Glaubensfreiheit ihre Heimat.
Was können wir von Kants Gedanken heute mitnehmen?
Ein zentraler Gedanke ist die Loyalität gegenüber dem geltenden Recht, sofern es philosophisch verankert ist. Das heißt, es muss aus allgemeinen Vernunftgründen abgeleitet sein. Da das Recht moralisch begründet ist, ist die Loyalität ihm gegenüber unproblematisch. Sonst könnte man ja in einen anderen, gerechteren Staat auswandern. Das ist ein Grund, warum Kant einen globalen Universalstaat ablehnt: Eine Universalmonarchie kann zur Diktatur entarten. Deshalb hält er ein Recht auf Aus- und Einwanderung für fundamental.
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