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Tim Guldimann - Debatte zu Dritt

Podcast Tim Guldimann - Debatte zu Dritt
Tim Guldimann
Der Podcast von Tim Guldimann nimmt aus Politik und Gesellschaft relevante Fragen auf, die über die Tagesaktualität hinausgehen. Die prominenten Gesprächspartne...

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5 von 67
  • «Nahostkrieg: Untergräbt die Solidarität mit Israel die Glaubwürdigkeit westlicher Werte im globalen Süden und das Ansehen Deutschlands?» - mit Susanne Brunner und Reinhard Schulze
    Susanne Brunner, die Auslandchefin des schweizerischen Radios, führt als Beispiel für den Verlust der Glaubwürdigkeit westlicher Werte die Reaktion einer Libanesin in der Folge der von Israel zur Explosion gebrachten Pager-Geräte auf. Dieser Angriff habe im Libanon «‘die ganze Zivilgesellschaft (.. getroffen, als eine) Attacke, die dermassen unverhältnismässig ist, die alle trifft (..) Ich hatte nie dieses Gefühl gegenüber Europa, aber es ist fast, wie wenn ich Europa hasse. (..) Was seit 9/11 passiert ist: Irak zerstört, Syrien zerstört, Libanon zerstört, die palästinensische Frage zerstört, wohin will der Westen damit überhaupt noch gehen.‘» Diese Frau habe eigentlich ausgedrückt: «Menschenrechte, die ihr propagiert, die gelten nur für euch.»Für den Islamwissenschaftler Reinhard Schulze gibt es «im Moment zwei Modelle, die im Nahen Osten diskutiert werden: Das ist die Schaffung eines Gegen-Westens, das russische-chinesische Paradigma. (..) Und auf der anderen Seite die Suche nach einer eigenen Rechtfertigung, an den Werten teilzunehmen, (..) die das moralische Gesamtgewissen repräsentieren, das zeigen möchte: Das, was jetzt geschieht an Gewalt, muss aus einer (..) globalen universellen Position heraus bewertet werden, die auch für den Westen Gültigkeit hat. (..) Dieses generelle Schema wird eingeklagt und eingefordert, um beispielsweise Argumente gegen Hamas (..) zu finden.» Gleichzeitig werde aber Israel «jetzt tatsächlich als so etwas wie der Vorposten des europäischen westlichen Imperialismus» gesehen.Brunner: «Wenn man sich im Nahen Osten umhört, sagt man, eigentlich hat Deutschland sein Judenproblem nur ausgelagert und die Palästinenser müssen das jetzt ausbaden. (..) Was ich aber jetzt denke ist, dass so, wie man den Begriff Antisemitismus braucht, ist das auch propagandistisch. Darunter leiden auch Juden und Jüdinnen, die kritisch sind gegenüber einer Regierung. (..) Da ist eine Keule, die uns natürlich immer einschüchtert. Wer will jetzt schon antisemitisch sein. Und da brauchts manchmal ein bisschen mehr Mut, um zu sagen: Das ist einfach Quatsch.»Schulze argumentiert, «dass wir es mit einem globalen politischen Muster zu tun haben, das sich seit dem Ukrainekrieg sehr verstärkt hat und auch im Nahen Osten wirksam wird, genauso wie in Europa, genauso wie in den USA und in diesem neuen Paradigma ist auch Israel gefangen (..nämlich), dass die Politik so etwas wie einen geschichtlichen Auftrag der Nation zu verwirklichen habe, so ein politischer Messianismus, der sich in der Politik bei Trump, bei Putin, aber jetzt auch bei Netanjahu (..) etabliert hat. (..) Und dieser Messianismus (..) ist gewaltförmig.(..) Das erleben wir im Augenblick stark in Israel, wo der Krieg fast grenzenlos wird, weil die zugrundeliegende Ideologie auch grenzenlos wird.»Wird der Nahostkonflikt immer noch als ein religiös konnotierter Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen gesehen? - Brunner: «Wo die religiöse Dimension eine Rolle spielt, ist, dass die Evangelikalen in den USA das als einen religiösen Konflikt sehen, in dem sie auf den Messias warten. (..) Auch wenn ich mit Siedlern spreche, von denen viele (..) aus dem evangelikalen Kreis kommen und von evangelikalem Geld finanziert sind. (..) Und ähnlich: Was die Hamas gemacht hat, hat natürlich vor allem Netanjahus Koalitionspartnern aus dem extremen Lager eine Möglichkeit gegeben, (..) eine gott-gegebene einmalige Chance, etwas zu verändern im Nahen Osten.»Schulze: «Wichtig ist, dass Religion zum Spielfeld einer nationalistischen Politik geworden ist. Religion ist keine eigene unabhängige religiöse Kategorie mehr. (..) Wir haben eine Neubewertung des Religiösen. (..) Religion ist, wie in Russland ganz stark inszeniert, Machtträger des Staates (..) Träger der ideologie des Staates. (..) Manche konservative religiöse Akteure stehen kopfschüttelnd vor dieser Usurpation des Religiösen durch die imperialen Mächte.»
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    42:44
  • «Nach 200‘000 Toten im Jugoslawienkrieg: Hat die Intervention des Westens der Region den Frieden gebracht?»- mit Christian Schmidt und Armina Galijas
    Frau Galijas, Sie forschen im Zentrum für Südost-Europa-Studien der Universität Graz und sind im Krieg aus Bosnien geflohen, haben Sie Ihre Heimat verloren? - «Wahrscheinlich ja, aber (..) es ist nicht nur für mich, es ist für alle Menschen ein neues Leben entstanden, auch für die, die in Bosnien geblieben sind. Das war so eine grosse Zäsur. (..) Das Ethnische hat sich wirklich durchgesetzt, (..weil ) man in den 90er Jahren begonnen hat, alles ethnisch zu regeln. (..) Man hat irgendwie versucht, es allen ethnischen Gruppen recht zu machen. Aber im Prinzip kann ein Land so nicht funktionieren».Dem Hohen Repräsentanten der UNO für Bosnien-Herzegowina, Christian Schmidt wurden aufgrund des Vertrags von Dayton (1995) sehr grosse Kompetenzen gegeben. Er kann direkt in die Politik des Landes eingreifen und bestätigt, dass er dabei ohne demokratische Legitimation entscheidet: «Es ist eine schizophrene Situation. (..) Deswegen behandle ich die sogenannten ‘Bonn Powers‘ (..) sehr, sehr zurückhaltend». Als Beispiel nennt er, die Situation, als vor einem Jahr verfassungsmässig weder eine Regierungsbildung noch Neuwahlen möglich waren, da «hatte ich eine Regelung in die Verfassung hineingeschrieben (..) Und jetzt gibt es eine Regierung dank meiner Intervention».Glauben Sie, Herr Schmidt, dass die ethnische Organisation der Gesellschaft, die in Dayton festgeschrieben worden ist, in Zukunft überwunden werden kann? – «Ja und nein; (.. es hängt davon ab, ob) wir es schaffen, diese Ethnifizierung zu durchbrechen. (..) Ich glaube, dass junge Leute das nicht mehr mitmachen wollen. Die Frage ist nur, wo ? (..,), zuhause oder wenn sie» auswandern.» - Galijas bekräftigt: «Meine grösste Sorge ist die Abwanderung. (..) Die Leute, die weggehen können, (..) gehen, am meisten nach Österreich und Deutschland.»Zementiert die internationale Präsenz die ethnokratischen Strukturen? – Schmidt: «Ja und nein. Die Wähler haben (..) null Vertrauen in das (..) Zustandekommen der Wahlen. (..) Ich setze ja gerade da an, (..) das Wahlgesetz zu verbessern. Das ist uns auch für die (..) Kommunalwahlen gelungen (..)». – Dazu Galijas: «Das Problem ist eigentlich, was vor der Wahl in Bosnien passiert. (..) Wählen gehen nur die, die sich etwas von der Partei erwarten. (..) Für jeden Posten muss man eine bestimmte Anzahl von Stimmen bringen. (..) Ein Schuldirektor muss dann 20 oder 100 Stimmen vorweisen. (..) Die richtigen Wahlen finden nicht an der Urne statt, sondern (..) dort, wo man Reis oder Mehl oder Oel verteilt, um die Stimmen zu bekommen.» Dient die Perspektive eines EU-Beitritts als Mittel, die notwendigen Reformen durchzusetzen? - Galijas: «Diese EU Annhäherung ist von beiden Seiten weniger glaubhaft geworden. Die Menschen glauben nicht mehr an die EU und die EU nicht mehr ganz an Bosnien. Es hat einfach zu lange gedauert.» - Schmidt: «Die Begründung, warum es jetzt eine gewisse Dynamik gibt, die es vor vier-fünf Jahren noch gar nicht gegeben hat, liegt (im wachsenden russischen Einfluss) (..) Jetzt ist das das Momentum, das man für die Integration von Bosnien-Herzegowina nutzen will. (..) Die Gesamtschau ist für mich so: Entweder, wir schaffen es tatsächlich in den nächsten Jahren, Leuchttürme zu sehen, dass im Westbalkan sich etwas tut, oder (..) dann passiert nichts mehr.»Galijas: «Ich würde für eine stufenweise Annäherung dieser Länder an die EU plädieren, (..) kleine Päckchen geben und, wenn diese dann durchgesetzt sind, auch belohnen.(..) Und ich denke, dass in Bosnien zum Teil auch ein Problem die Präsenz der internationalen Gemeinschaft ist, dass man denkt, die werden das für uns sowieso machen.»Sind sie zuversichtlich für die Zukunft ? - Schmidt: «Wenn in 11 Jahren, beim Gedenken an 40 Jahren (Völkermord in) Srebrenica und 40 Jahre Dayton der Hohe Repräsentant die Festrede hält, dann ist was nicht gut gelaufen, weil bis dahin sollte eigentlich seine Funktion nicht mehr nötig sein».
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    43:46
  • «Wirtschaftskrise, Investitionsstau und marode Infrastruktur – Ist die Schuldenbremse das Problem?» - mit Otto Fricke und Philippa Sigl-Glöckner
    Philippa Sigl-Glöckner, Leiterin des finanzpolitischen Thinktanks ‘Dezernat Zukunft‘, verlangt, dass man «unmittelbar jetzt die Schuldenbremse, wie sie im Grundgesetz steht, sinnvoll auslegen sollte. (..) Da gibt es ganz viele Spielräume, (..) da es grosse öffentliche Investitionsbedarfe gibt, und diese Investitionen sollten getätigt werden.» - Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP im Bundestag entgegnet: «Die Verfassung, das ist die Regel, die gilt. (..) Diese Regel ist auch Teil der Koalitionsvereinbarung. (..) Es ist einfach zu verlockend, Schulden zu machen (..) Wir müssen Prioritäten und Posterioritäten setzen.»Untergräbt eine höhere Verschuldung das Vertrauen der Finanzmärkte? «Da sagen», so Sigl Glöckner, «die Finanzmärkte das Gegenteil: Gut, dass es endlich deutsche Staatsanleihen in grösserem Volumen gibt» - Fricke argumentiert mit den amerikanischen Zinsschulden und stellt die Frage: «Wie sorge ich dafür, dass ich Vertrauen behalte als Staat.» - Sigl-Glöckner entgegnet «Die amerikanische Staatanleihe ist die Definition der risikolosen Wertanlage in der Welt und wird als Benchmark dafür genommen, genauso wie die deutsche Staatsanleihe.»Auf die Frage: Müssen unsere Kinder und Enkel die Staatsanleihen zurückbezahlen, antwortet Sigl-Glöckner: «Die müssen sie nicht zurückbezahlen, weil die Staatsanleihe von einem Investor gehalten wird und wenn diese Staatsanleihe fällig wird, dann kauft er im Zweifel erst mal eine neue. Die Idee, dass der deutsche Staat regelmässig seine Bilanz auf null zurückfahren muss, gehört eher ins Märchenland.»Sie fragt Fricke: «Wo findest du Spielräume auch nur annähernd in der Grössenordnung, die wir jetzt benötigen für Investitionen im aktuellen Bundeshaushalt? (..) Ich habe das versucht und komme nicht annähernd auf die richtige Grössenordnung, (..) ausser man erhöht die Mehrwertsteuer brutal. (..) Der Bundesrechnungshof sagt, dass bis auf 10% des Haushalts alles gebunden ist.» - Fricke entgegnet: «Dann würde ich an alle möglichen Staatsleistungen rangehen. (..) Das Problem ist, dass so getan wird, als wäre weiteres Geld da, (..) weil ich das Risiko von einer zu hohen Verschuldung über die Schuldenbremse hinaus als für riskant halte.» «Was passiert denn», fragt Sigl-Glöckner, «wenn wir uns sehr viel mehr verschulden, wo kommt man an den Punkt, wo es irgendwo eine Ausfallrisiko geben könnte? (..) Dadurch, dass die deutsche Staatsanleihe die Grundlage des Eurosystems ist, ist das sehr schwer vorstellbar. Der Spielraum ist grösser, als was du und ich für sinnvoll hielten. (..) Man wird den Verdacht nicht ganz los, dass der Konflikt zwischen Investitionen und Sozialausgaben aufgemacht wird, (..) wir könnten beides machen. (..) Von der finanziellen Seite zu sagen, es ist ‘entweder oder‘, wir können dieses Jahr nicht gleichzeitig Bahngleise und bei der Rente was machen, das stimmt halt nicht.» - Dagegen hält Fricke: «Wenn du der Politik die Möglichkeit gibst, Geld auszugeben, wird die Politik immer an die Grenze dessen gehen, was sie kann. (..) Wenn kein Rahmen gesetzt ist, wird es immer so sein, dass die kurzfristigen Dinge hochgehen in den Ausgaben».Stärkt ein Ausbleiben der dringend notwendigen gesellschaftlichen Investitionen den Rechtspopulismus und untergräbt damit unseren Rechtsstaat? Fricke: «Dem widerspreche ich ausdrücklich. (..) Das Main-Ruhrgebiet hat eine Arbeitslosigkeit von 10,5%, Brandenburg 6,5% (..). Eigentlich müssten sie doch bei uns Rechts wählen, wo die Rheinbrücken kaputt sind und die Arbeitslosigkeit höher ist». Sigl-Glöckner hält dagegen: «Jetzt akut bin ich der Meinung, dass ein Sparkurs absolut die radikale Rechte befeuert und zwar ganz konkret auf der kommunalen Ebene, weil der Trade-off sehr direkt ist. Wir haben hohe Flüchtlingskosten und dafür macht man dann die Musikschule zu, macht man das Schwimmbad zu, macht man das Museum zu. Und das befördert ganz stark rassistische und rechtsradikale Motive.»
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    54:13
  • „Der Wahlerfolg der Rechtspopulisten – Bleibt Ostdeutschland von den gemeinsamen Erfahrungen mittel-osteuropäischer Gesellschaften geprägt?“ - mit Paula Piechotta und Piotr Buras
    Der polnische Politologe Piotr Buras sieht „gewisse Dinge im Alltag, im Verhalten von Polen und Ostdeutschen, meinen ostdeutschen Nachbarn in Brandenburg, die uns verbinden, wo wir uns näher zuhause fühlen als in Westeuropa (..). Das hängt zusammen mit gemeinsamen Erfahrungen aus der Zeit vor der Wende. (..) Es gibt aber sehr viel, was anders gelaufen ist in den letzten 30 Jahren, (.. so) die Transformationsgeschichte. (..) Der grösste Unterschied besteht natürlich darin, dass wir kein Westdeutschland hatten. Das hatte grosse Nachteile, aber auch wieder Vorteile. Dieses Gefühl der Ohnmacht in Ostdeutschland (..) das war in Polen nicht der Fall, (..) jeder muss selbst verantworten, was damals in den 90-er Jahren passiert ist.“Buras sieht aber ein gemeinsames Missverständnis: „dass man sich sehr stark darauf fokussierte, wie stark die Wirtschaft gewachsen ist in Polen und in Ostdeutschland. (..) Als in Polen die PIS-Partei an die Macht kam, (..) haben sich alle gewundert (..) : Jetzt plötzlich wählen wir eine Partei, die sozial-konservativ, rückwärtsgewandt und populistisch ist. Und das ist genauso in Ostdeutschland. (..) Diese wirtschaftliche Lage liefert überhaupt keine Erklärung für das Verhalten der Menschen. Es geht vielmehr um Respekt, auch um Selbstwertgefühl, darum, ob sich Leute als Bürger erster oder zweiter Klasse fühlen. In Polen war das nicht anders.“Für die Bundestagsabgeordneten Paula Piechotta ist dieses verletzte Selbstwertgefühl in Ostdeutschland besonders relevant: „Die friedliche Revolution und dann der Beitritt von Ostdeutschland zum Geltungsbereich des Grundgesetzes hat aus der Region Ostdeutschland eine Minderheitengesellschaft im gesamtdeutschen Kontext gemacht. (..) Das ist eine der Gründe für das sehr starke Sich-als-Bürger-zweiter-Klasse-Fühlen. (..) Die Abwertung des Ossis, war ja auch schon ein sehr starkes Motiv vor 1989. Das hat sich ja ab 1945 im zunehmend geteilten Deutschland immer mehr entwickelt, (..) dass auch in Westdeutschland ein sehr spezifisches, sehr abwertendes Bild über Ostdeutschland entstand. Und umgekehrt hat natürlich auch schon die Propaganda des SED-Staates ein unglaublich negatives Bild von Westdeutschland und einen sehr grossen Antiamerikanismus sehr tief reingetrieben in die Bevölkerung."Buras sieht im osteuropäischen Rechtspopulismus auch eine Spätfolge des Umbruchs von 1989: Die Frage „warum in Mittel- und Osteuropa, nicht nur in Polen und Ostdeutschland diese populistische Welle mit viel grösserer Wucht einschlägt, hängt damit zusammen, dass (..) wir heute die zweite Phase, die zweite Welle einer grossen Veränderung erleben, eine Veränderung zwar genauso wie in Westdeutschland oder Frankreich, aber (..) alles, was heute die grosse gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Veränderung ausmacht, kommt in Mittel- und Osteuropa inklusive Ostdeutschland zum zweiten Mal.“ – „Und es trifft hier“, so Piechotta, „auf junge Demokratien, woanders trifft es auf gefestigtere Demokratien.“Piechotta stellt im Rückblick aber fest, dass „die Bürgerrechtsbewegung im damaligen Ostdeutschland stark davon gelernt hat, was Solidarnosc, was Charta 77 Jahre vorher entwickelt hatten (..), wie man die Ostblockstaaten in die Knie zwingt. Und jetzt ist es auch wieder so, dass wir auf der Suche nach Antworten wieder auf Polen schauen, das wieder ein paar Jahre vor uns ist, das Jahre der PIS-Regierung hinter sich hat (..) und jetzt zum ersten Mal wieder Wahlen dagegen gewonnen hat.“ - Das bestätigt auch Buras: „Die polnische Lektion zeigt, dass es möglich ist, den Rechtspopulismus und den Iliberalismus zu überwinden.“ Piechota ist etwas vorsichtiger: „Ja, aber nur wenn jetzt nicht die nächste grosse Abwanderungswelle kommt. (..) Jetzt gibt es sehr starke Tendenzen, dass nicht mehr Leute neu nach Ostdeutschland ziehen oder zusätzliche Abwanderungsbewegungen stattfinden (..) und das ist die grosse Gefahr.“
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    43:57
  • “Können internationale Interventionen, kann die UNO Kriege verhindern oder stoppen?“ – mit Melanie Hauenstein und Volker Perthes
    Zwei erlebte Fallbeispiele: Volker Perthes war bis vor kurzem Leiter der UNO-Mission im Sudan, die er im letzten Herbst als „Persona non grata“ verlassen musste. Zuvor war er Direktor der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin. Trotz des eskalierenden Bürgerkriegs im Sudan glaubt er „nicht, dass die UNO gescheitert ist.“ Gescheitert seien die sudanesischen Akteure, „die UNO ist ja nicht weggelaufen, sie ist weiterhin da, besonders im humanitären Bereich. (..) Aber natürlich ist es eine Enttäuschung. (..) Die UNO-Mission ist in den Sudan gekommen auf Einladung der damaligen zivilen Regierung (..), um den Demokratisierungsprozess voranzutreiben (und) den Frieden zu stabilisieren. Nach dreiviertel Jahr, als ich da war, kam ein Militärputsch (… und) die beiden militärischen Führer (..) haben sich dann so stark um die Beute gestritten (..), dass sie das Land in einen Krieg führten und das Land wirklich zerstörten. Natürlich ist das eine Niederlage“. Melanie Hauenstein, heute Leiterin des UN-Entwicklungshilfeprogramms (UNDP) in Berlin war früher für die UNO u.a. in der Demokratischen Republik Kongo tätig. „Das Land war in zwei Kriegen zerrissen (..) Im zweiten Kongokrieg sind 3,8 Millionen Menschen gestorben. (..). Dann gab es Friedensverhandlungen, die ganz massgeblich von der UNO unterstützt wurden (..) Die UNO-Mission hat es geschafft, das Land zusammenzubringen (..) und dort ein Referendum, das eine Verfassung beschlossen hat, (.. und dann 2006) die Wahlen (zu organisieren), wo wir 25 Millionen Menschen digital registriert haben“. Dadurch wurde es möglich „von der Übergangsregierung zu einer legitimen Regierung“ zu kommen. Zuvor stellte sich die Frage, „ob es zu den Wahlen kommt oder ob wir in den Bürgerkrieg zurückgehen“. Sind Friedensmissionen ein westliches Projekt? – Dem widerspricht Perthes: Die Chinesen sind „nicht nur zweitgrößter Beitragszahler in der UNO, sondern übernehmen auch mehr Verantwortung. (..) Sie sind von den fünf permanenten Sicherheitsratsmitglieder, diejenigen, die das meiste Personal in Friedensmissionen entsenden. (..) Die meisten Truppen in den Friedensmissionen werden nicht von westlichen Staaten gestellt, sondern von Pakistan, von Indien, von afrikanischen Staaten.Müssen Friedensmissionen mit Verbrechern zusammenarbeiten? – Perthes. „In dem Moment, wo du mit Konfliktparteien arbeiten willst, da hast du nicht die gute Seite und die schlechte Seite (..), die Grauzonen sind enorm. (.. Wenn wir) Zugang zu Gefängnissen haben (..), da sagt niemand, ihr solltet aber nicht mit den Verbrechern reden. (..) In dem Moment, wo ich versuche, mit Akteuren eine bessere Lösung für die Menschen hinzubekommen, mit Akteuren, die selber Menschenrechte verletzt haben (..), da muss ich Hände schütteln, die ich im privaten Leben nicht gerne schütteln würde. Dafür sind wir da, irgendjemand muss es machen. (..) Du musst Prioritäten setzten. Menschenleben ist die höchste Priorität. (..) Wenn sie nicht überleben (..), dann gibt es auch keine Diskussion über Menschenrechte und Demokratie“. – Hauenstein bekräftigt: „Die Menschen, die vor Ort sind, die unter diesen Diktaturen leben, die im Krieg leben (..), die haben keine Wahl, aufzugeben. (..) Für mich ist wichtig, dass wir als UNO sagen: Wir haben kein Recht aufzuhören. Wer, wenn nicht wir?“
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    51:08

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Über Tim Guldimann - Debatte zu Dritt

Der Podcast von Tim Guldimann nimmt aus Politik und Gesellschaft relevante Fragen auf, die über die Tagesaktualität hinausgehen. Die prominenten Gesprächspartner – jeweils eine Frau und ein Mann – sind selbst im Themenbereich aktiv tätig. Monatlich werden laufend zwei neue Debatten aufgenommen. Tim Guldimann leitete Friedensmissionen im Kaukasus und Balkan, war Schweizerischer Botschafter in Teheran und Berlin und war danach bis 2018 Schweizerischer Parlamentsabgeordneter.
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Generated: 12/27/2024 - 12:55:58 AM